Keine Flagge

Ich versinke gerade in den Gedichten von Rumi. Ich bade in ihnen. Sie fluten mein Herz. Es ist, als würden die Worte dieses persischen Dichters eine Tür in mir öffnen. Sie sind durch die Jahrhunderte gereist, über Kontinente und durch Zeiten hinweg, um mich zu berühren, tief im Inneren.

Ich würde gern eins dieser wundervollen Gedichte mit euch teilen…

Keine Flagge

Früher wollt ich Käufer für meine Worte.
Jetzt hoffe ich, jemand kaufte mich von Worten frei.

Wie viele charmant tiefsinnige Bilder
hab ich gemacht,
Szenen mit Abraham und mit Azar, seinem Vater,
auch einem berühmten Motiv für Ikonen.

Wie müde bin ich von alledem.

Dann kam ein Bild ohne Form.
Und ich gab auf.

Such jetzt jemand anderen für den Laden hier.
Ich bin aus dem Bilder-Mach-Geschäft raus.

Endlich weiß ich,
was Freiheit vom Wahnsinn ist.

Willkürlich taucht ein Bild auf.
„Verschwinde!“, brülle ich.
Das Bild löst sich auf.

Nur Liebe.
Die Flagge ist nirgendwo, als in dem Flaggenträger.
Und Wind. Keine Flagge.

– Rumi: „Durchwachte Nacht“, übersetzt von Christoph Engen

Hier auch die englische Original-Übersetzung von Coleman Barks…

No flags

I used to want buyers for my words.
Now I wish someone would buy me away from words.

I’ve made a lot of charmingly profound images,
scenes with Abraham, and Abraham’s father, Azar,
who was also famous for icons.

I’m so tired of what I’ve been doing.

Then one image without form came,
and I quit.

Look for someone else to tend the shop.
I’m out of the image-making business.

Finally I know the freedom
of madness.

A random image arrives. I scream,
“Get out!” It disintegrates.

Only love.
Only the holder the flag fits into,
and wind. No flag.

– Rumi: The Book of love, translated by Coleman Barks

FOTO: Enlightenment von Marketa, lizensiert unter CC BY-SA 2.0