Upstairs, Breakdown

Düsseldorfer Menuette

4. Upstairs, Breakdown (cis-Moll)

Ort der Inspiration

Ich war als Student fast vier Jahre für die Düsseldorfer Drogenhilfe e.V. tätig. Ich habe dort nachts in der Notschlafstelle gearbeitet und obdachlose Drogenabhängige betreut. Die Notschalfstelle wurde „Upstairs“ genannt, weil man über vier Etagen ein Treppenhaus hochgehen musste, um dorthin zu gelangen. Es gibt schönere Orte, zweifelsohne. Dennoch habe ich in dieser Zeit sehr viel gelernt. Vor allem über mich selbst.

In diesem Musikstück drückt sich aber auch die Trauer um einen Freund aus, der für mich in dieser Zeit ein besonderes Vorbild war und mich immer wieder herausgefordert hat. Er hieß Jonathan. Er ist leider im Juni 2011 viel zu früh von uns gegangen.

Ich erlaube mir, hier ein Gedicht von Jonathan zu veröffentlichen, das vielleicht am besten die Notschlafstelle beschreibt und auch die Kehrseite einer modernen Stadt wie Düsseldorf, die man ansonsten nicht zu Gesicht bekommt.

Männer in der Nacht

By Jonathan Clarkson (1959 – 2011)

Nachts kann ich sehen, was du nicht siehst
Hochhäuser
Vollgestopft mit Menschen
Die laut schreien
Die Füße durch das Viertel gehen
Das mich müde macht
Bunt bemalte Fassaden hinter
Denen das Leben fault
Für jeden Großkotz ein Stern am Kühlergrill
Das Geld muss noch abbezahlt werden
Und nachts rieche ich, was du nicht riechst
Den Schweiß aus alten, kaputten Schuhen,
Die in der Mannschaft spielen wollen
Und dabei ihr Kreislauf versagt
Und ihre guten Bekannten
Deren Sicht ist klar wie ein Lichtturm im Nebel
Benebelt sind sie so oft
Und ich fühle, was du nicht fühlst
Die verlorene Liebe und den Junkie, der nach Hasch stinkt
Und nicht nach Hugo Boss
Und sie leben noch mit Stolz, weil sie kränkeln
An dem noch nicht ausgebrochenen Leid
Die Liebe auf der Suche fehlt
Und ich höre, was du nicht hörst
Nachts, wenn es still ist ein Flüstern und Atmen der anderen
Und lauter Schnarchen
Und auch ein Husten so wie vom Kettenrauchen
Wie viele Sprachen spricht die Stadt
Wenn es dunkel wird
Ich schmecke, was du nicht schmeckst
Bitter-sauer auf der Zunge liegend
Den Nachtgeschmack
Eine Stadt, die ihre Menschen frisst und Tote gebärt

Musikalische Idee

Am Anfang dieses Stückes hämmert ein Bass unaufhörlich auf dem Grundton. Dieser Orgelpunkt repräsentiert für mich eine Totenglocke. Darüber setzt dann nach vier Takten eine wehklagende Melodie ein.

Pianoroll zu „Upstairs, Breakdown“ (cis-Moll), Düsseldorfer Menuette, Takt 1-8

Pianoroll zu „Upstairs, Breakdown“ (cis-Moll), Düsseldorfer Menuette, Takt 1-8

Der erste Teil des Stückes wiederholt sich noch einmal, mit einer Variation der Melodie am Ende. Dann bricht plötzlich die Chromatik in das Stück herein wie ein bedrohlich anschwellendes Unglück.

Am Ende des ersten Teiles moduliere ich die Tonart von cis-Moll nach g-Moll. Während die Melodie in der Oberstimme auf dem Ton f# endet, wird der Basston, der so beharrlich auf dem c# stampfen durfte, unerwartet um einen Halbton chromatisch nach oben gerückt. Die beiden Töne d und f# werden zur Dominante (D-Dur) der neuen Tonart (g-Moll) uminterpretiert.

Der zweite Teil des Musikstückes nimmt thematisch das Motiv der Treppen auf:

  • Upstairs: Das Ostinato in der Oberstimme klettert immer weiter in die Höhe und verdichtet sich zunehmend. Meine Intention war es, das hastige Hochsteigen auf den Treppen hörbar zu machen.
  • Breakdown: Eine chromatisch absteigende Basslinie symbolisiert die entgegen gesetzte Bewegung. Es ist ein langsamer, trauriger Abstieg.
Pianoroll zu „Upstairs, Breakdown“ (cis-Moll), Düsseldorfer Menuette, Takt 33-40

Pianoroll zu „Upstairs, Breakdown“ (cis-Moll), Düsseldorfer Menuette, Takt 33-40

Der Abschnitt endet auf dem Dv, dem verkürzten Dominantseptnonenakkord. Diesen Akkord nutze ich durch enharmonische Umdeutung zur Rückmodulation von g-Moll nach cis-Moll. Das muss vielleicht noch etwas näher erklärt werden.

Der Dv setzt sich aus drei kleinen Terzen zusammen, die im harmonischen Moll auf dem Leitton übereinander geschichtet werden. Diese sehr symmetrische Akkord eignet sich daher hervorragend für eine Modulation. In g-Moll und in cis-Moll sehen die beiden Akkorde folgendermaßen aus (den Grundton der Dominante klammere ich ein, da er nicht zum Akkord gehört):

  • Dv in g-Moll: (d) – f# – a – c – e♭
  • Dv in cis-Moll: (g#) – h# – d# – f# – a

Wie man sehen kann, haben beide Akkorde die Töne f# und a gemeinsam. Die anderen beiden Töne lassen sich enharmonisch umdeuten: Aus c wird h# und aus e♭ wird d#. So wird wie durch Zauberei aus der Dominante in g-Moll plötzlich die Dominante in cis-Moll und das Ganze fügt sich nahtlos ineinander, obwohl die beiden Tonarten sechs Vorzeichen von einander entfernt sind.

Das Ende des Stückes lässt die Stimmen wieder absinken und bindet die Energie des hektischen „Treppenaufstiegs“ in einem sich beruhigenden, harmonisch verdichteten Ausklang. Vielleicht symbolisiert diese Coda wie die Klienten des „Upstairs“ nach einem manisch-hektischen Tag auf der Suche nach der nächsten Shore, dann am Abend doch etwas Ruhe, ein warmes Essen, einen Platz zum Übernachten finden und langsam in den Schlaf sinken.

Pianoroll zu „Upstairs, Breakdown“ (cis-Moll), Düsseldorfer Menuette, Takt 57-64

Pianoroll zu „Upstairs, Breakdown“ (cis-Moll), Düsseldorfer Menuette, Takt 57-64

Der stampfende Bass ist hier am Ende des Stückes zurückgekehrt. Die absteigende Linie ist in die Oberstimme gewechselt, allerdings nicht mehr ganz so chromatisch. Die mittlere Stimme komplettiert die harmonische Begleitung.

Noten auf Anfrage.

FOTO: Agnes Rossa