Gummibären im Kopf

Oder, wie ich beinahe meditieren lernte.

Irgendwo existiere ich. Als ein Wesen jenseits von Materie und knurrendem Magen. Irgendwann wird der Strom der Gedanken sich beruhigen und eine tiefe Zufriedenheit wird sich in mir ausbreiten. Sagt mein Meditationslehrer. Aber mein Gehirn hat da ganz andere Pläne.

Meditationslehrer: Nehmen Sie eine bequeme Sitzposition ein.

Eine namenlose Stimme in meinem Gehirn: Auf dem Boden?

Am besten verwenden Sie so ein Sitzkissen, damit Ihr Gesäß etwas höher liegt.

Ich soll auf einem Sack mit Erbsen sitzen? Sieht nicht so bequem aus.

Versuchen Sie ein Dreieck zu bilden, bestehend aus Ihren beiden Knien und Ihrem Gesäß.

Ähm, geht auch eine Brezelform?

Komme Sie jetzt zur Ruhe, legen Sie Ihr ganzes Gewicht auf dem Kissen ab.

Es geht los! Wie aufregend!

Auch ihre Armen sinken herab. Lassen Sie sich fallen.

Also ein Vornüberfallen ist im Bereich des Möglichen.

Spüren Sie jetzt einzelnen Teilen Ihres Körpers nach…

Mein Fuß fühlt sich seltsam an.

… beginnen Sie mit Ihrer Kopfhaut.

Ach so, wir fangen oben an!

Spüren Sie, wie sich Ihre Kopfhaut entspannt.

Da kribbelt was. Ob man sich während der Meditation kratzen darf?

Stellen Sie sich vor, wie eine warme, weiche Flüssigkeit sich langsam von oben ausbreitet.

Das stelle ich mir lieber nicht vor! Aber dieses Kribbeln treibt mich noch in den Wahnsinn. Sind da Ameisen auf meinem Kopf unterwegs?

Gehen Sie weiter zu Ihrer Stirnpartie, lassen Sie los, fühlen Sie, wie Ihre Muskeln sich entspannen.

Verdammte Hacke, jetzt sind die Ameisen auf meiner Stirn.

Fühlen Sie der Schwerkraft nach…

Ich kippe irgendwie nach vorn. Ich muss mich mal wieder leicht nach hinten lehnen.

Entspannen Sie auch Ihren Bauch, lassen Ihre Bauchmuskeln ruhen.

Soll ich den jetzt wirklich entspannen? Dann sehen ja alle, wie dick ich bin.

Spüren Sie Ihrem Atem nach.

Apropos Atem! Ich muss noch neue Zahnpasta kaufen.

Wo beginnt er?

Ich glaub, ich muss mal niesen.

Wo endet er?

In einem lauten Geräusch, das ich gleich mache!

Konzentrieren Sie sich ganz auf Ihren Atem. In welchen Körperregionen ist er spürbar?

In einem penetranten Kitzeln in meiner Nase?

Lassen Sie alle Gedanken vorübergleiten.

Und, wenn meine Gedanken nicht gleiten? Sondern hüpfen. Wie die Gummibärenbande, wenn Sie Gummibärensaft eingeschmissen hat?

Bleiben Sie bei Ihrem Atem.

“Gummi Bears, bouncing here and there and everywhere…”

Spüren Sie wie der Atem sich in Ihrem Bauch ausbreitet, wenn Sie einatmen.

Irgendwie spüre ich da eher eine Verspannung im Rücken. Sitze ich irgendwie schief?

Lassen Ihren Atem in andere Regionen Ihres Körper ausstrahlen.

Mhh, wie meint er das jetzt? Ist das jetzt die Stelle, wo es um Telekinese geht?

Mit jedem Atemzug breitet sich ein Gefühl des Glücks und der Ruhe in Ihnen aus.

Ich muss irgendwas falsch machen.

Fühlen Sie, wie der Raum dieses Gefühls sich erweitert… bis in Ihrem Bauch, Ihre Beine, Ihre Fußspitzen.

Mist, mein Fuß ist eingeschlafen! Fühlt sich so das Nirwana an?

Meditieren ist gar nicht so einfach. Dem kleinen Saboteur in meinem Hirn fällt immer wieder etwas Neues ein. Ein ewiger Strom der Kommentare, Beschwerden, Anmerkungen und Unterbrechungen rauscht an mir vorbei und reißt mich mit. Als hätte meine Gedankenwelt sich gegen mich verschworen, mich von meinem eigentlichen Vorhaben abzulenken.

FOTO: Meditation von Mitchell Joyce, lizensiert unter CC BY-NC 2.0